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Spermidin – Neues Wundermittel gegen Demenz?

Spermidin – Nur ein neuer Gesundheitstrend oder Allzweckwaffe gegen Demenz?   Was ist Spermidin? Spermidin gehört zu den sogenannten biogenen Polyaminen, die natürlicherweise im Körper vorkommen und von einigen Darmbakterien (z.B. Bifidobakterien) synthetisiert werden können. Es entsteht dabei als Zwischenprodukt bei der Bildung von Spermin aus Putrescin. Spermidin befindet sich vor allem im Zellkern und […]
Spermidin – Neues Wundermittel gegen Demenz?

Spermidin – Nur ein neuer Gesundheitstrend oder Allzweckwaffe gegen Demenz?

 

Was ist Spermidin?

Spermidin gehört zu den sogenannten biogenen Polyaminen, die natürlicherweise im Körper vorkommen und von einigen Darmbakterien (z.B. Bifidobakterien) synthetisiert werden können. Es entsteht dabei als Zwischenprodukt bei der Bildung von Spermin aus Putrescin. Spermidin befindet sich vor allem im Zellkern und in den Ribosomen, da es ein wichtige Rolle bei der Nuklein- und Proteinsynthese, beim Zellwachstum, der Membranstabilisierung sowie der Autophagie spielt. Die genauen Mechanismen sind jedoch bisher nicht ganz geklärt und werden aktuell noch erforscht. Erste Studien lassen aber einen positiven Einfluss auf die Gesundheit, insbesondere auf die allgemeine Lebenserwartung, auf die Gehirnfunktion, wie zum Beispiel bei Demenz oder Parkinson, aber auch auf kardiale Erkrankungen, Leberkrebs und Diabetes erkennen.
Entdeckt wurde Spermidin übrigens im Sperma, daher auch der Name. Es liegt dort in besonders hoher Konzentration vor.

 

Wie wirkt Spermidin?

Spermidin verstärkt die sogenannte Autophagie von Zellen. Das heißt, Aufräumprozesse in der Zelle werden angekurbelt und zellulärer Abfall, z.B. Stoffwechselzwischenprodukte, abgebaut und deren Bestandteile wiederum verwertet. Dabei werden der Stoffwechsel und Reparaturprozesse der Zelle angeregt. Schädliche Stoffe und fehlerhaftes Zellmaterial, die durch alters- und auch krankheitsbedingte Prozesse entstehen und sich ablagern, werden aus der Zelle entfernt. Der Zelltod wird hinausgezögert und somit die Lebensdauer der Zelle erhöht.

[accordion title=““ open1st=“0″ openAll=“0″ style=““][accordion_item title=“Wussten Sie schon…?“]Der Japaner Yoshinori Ohsumi bekam 2016 den Medizin-Nobelpreis für seine Forschung zu den Mechanismen der Autophagie.[/accordion_item][/accordion]

Solch ein Vorgang findet beispielsweise auch statt, wenn wir fasten. Durch die verringerte Kalorienzufuhr erhöht sich die Spermidinkonzentration, der zelleigene Stoffwechsel und der Selbstreinigungsprozess werden stimuliert. So konnte schon eine Verbesserung der Gedächtnisleistung durch eine Kalorienrestriktion nachgewiesen werden.

 

Spermidin und Lebenserwartung

In diversen Studien an Hefezellen, Würmern, Fliegen, Mäusen und menschlichen Immunzellen konnte durch die Verabreichung von Spermidin Zellnekrosen verhindert und im Zuge dessen ein lebensverlängernder Effekt auf die Zellen festgestellt werden. Grund ist die spermidininduzierte Autophagie. So sorgt dies dafür, dass sich der oxidative Stress durch freie Sauerstoffradikale in den Zellen reduziert, Histone deacteyliert und so die Transkription verschiedener Autophagie-Auslöser gesteigert wird. Auf diesem Weg wird der natürliche Alterungsprozess der Zelle, der zum einen programmiert und zum anderen durch viele Faktoren beeinflussbar ist, verlangsamt.
2018 veröffentlichte ein internationales Forscherteam unter der Führung der Universität Innsbruck die Ergebnisse einer klinischen Beobachtungsstudie (VASCage), die einen Zusammenhang zwischen der Aufnahme von Spermidin und der Mortalität vermuten lässt. Über 20 Jahre lang (1995-2015) wurde regelmäßig die Spermidinaufnahme der Personen durch deren Ernährungsgewohnheiten protokolliert. Insgesamt nahmen 829 Personen (45-84 Jahre) teil, davon verstarben 341 im Beobachtungszeitraum. 40,5 Prozent der Verstorbenen lagen bei der Spermidinaufnahme im unteren Drittel, doch nur 15 Prozent der Verstorbenen lagen im oberen Drittel. Das heißt, dass die Personen, die mehr Spermidin zu sich genommen hatten (mindesten 80 µmol/Tag), etwa 5-7 Jahre länger lebten, als die Personen, die sich spermidinarm (<60 µmol/Tag) ernährten. Weiterführende Studien laufen bereits und lassen auf spannende Ergebnisse hoffen.

 

Spermidin und Herzerkrankungen

In einer Studie der Universität Graz von 2016 konnte bei Mäusen gezeigt werden, dass Spermidin kardioprotektive Eigenschaften besitzt und das Risiko für eine Herzinsuffizienz senkt bzw. das Fortschreiten einer bestehenden Herzinsuffizienz verlangsamt. Die verstärkte kardialer Autophagie und Mitochondrienleistung bedingte eine Verbesserung der mechano-elastischen Eigenschaften der Kardiomyozyten und infolgedessen eine Verbesserung der diastolischen Herzfunktion. Zudem senkte Spermidin den Blutdruck und damit die zusätzliche Belastung für das Herz, was sich in einer reduzierten Hypertrophie zeigte. Alles Faktoren, die eine Herzinsuffizienz begünstigen und schneller voranschreiten lassen. So war in der Gruppe, der eine hohe Spermidindosis über das Trinkwasser verabreicht wurde, das Erkrankungsrisiko um 40 Prozent geringer.

 

Spermidin und Demenz

Neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz oder Parkinson sind durch eine unaufhaltsame Zerstörung von Nervenzellen und Nervenzellverbindungen gekennzeichnet. Auch Eiweißablagerungen, wie z.B. fehlgefaltete Proteine, und der Rückgang von Neurotransmittern im Gehirn lassen diese Krankheiten stetig voranschreiten. Aufgrund dieser Ursachen nimmt die Gedächtnisleistung und die synaptische Plastizität mehr, als durch die normalen altersbedingten Veränderungen verursacht, ab.
In einer erst kürzlich veröffentlichten Studie (2019) der Freien Universität Berlin konnten die Forscher im Tierversuch zeigen, dass durch Fütterung der Fliegen mit Spermidin altersbedingte Gedächtnisstörungen entgegengewirkt wird. Die Gedächtnisleistung konnte auf dem Niveau von jugendlichen Tieren stabilisiert werden, indem die präsynaptischen Strukturen in Größe und Funktionalität bei den alternden Fliegen erhalten werden konnten. Auch die gesteigerte Autophagie spielt hier eine entscheidende Rolle. Durch Reinigungsprozesse im Gehirn werden Signalwege und damit die Gedächtnisleistung aufrechterhalten.
Da Drosophila melanogaster ein anerkanntes Modell in der Altersforschung ist, sind direkte Parallelen zum Menschen, im Hinblick auf die Prävention von neurodegenerativen Erkrankungen, sehr wahrscheinlich. Aktuell beschäftigen sich viele Forscher mit diesem Thema, da die Behandlung schwierig ist und einmal zerstörte Nervenzellen nicht wieder revitalisiert werden können. Zudem hat die Suche nach Vorsorgemaßnahmen hohe medizinische, gesundheitspolitische und wirtschaftliche Relevanz. Laut der Dachorganisation Alzheimer’s Disease International (ADI) soll sich die Zahl der Demenzkranken, weltweit bis 2050 auf 135 Millionen, mehr als verdoppeln.
Daher auch die Bemühungen der Smart-Age Studie der Berliner Charité mit Probanden, die zwar nicht an Alzheimer litten, deren Gedächtnisleistung sich aber in den letzten Jahren verschlechterte. In einem ersten Testlauf konnte gezeigt werden, dass sich die Gedächtnisleistung der Probanden, bereits nach 3-monatiger Einnahme von Spermidin-Kapseln, subjektiv verbessert hatte. Das Spermidin wurde hier aus Weizenkeimen gewonnen und war überdies sehr gut verträglich. Weiterführende Studien, die den Effekt von Spermidin auf Lernen, Gedächtnis und die Gehirnstruktur genauer untersuchen, laufen bereits an der Charité.

 

Spermidin und Leberkrebs

Forscher der Texas A&M University veröffentlichen in 2017 ihre Studienergebnisse über die Wirkung der oralen Spermidinsupplementierung bei Mäusen im Hinblick auf die Entstehung einer Leberfibrose, der Entwicklung eines Leberkarzinoms und der Lebenserwartung. Bei den Tiere, die seit ihrer Geburt spermidinreich ernährt wurden, kam es weniger oft zu einer Leberfibrose und zu einem Leberkarzinom. Zudem stieg die Lebenserwartung um 25 Prozent. Entartete Zellen triggern den vorzeitigen, durch oxidativen Stress bedingten, Zelltod und verursachen in Folge dessen eine Leberfibrose und bei weiterer Belastung ein bösartiges Leberkarzinom. Durch die Aktivierung von speziellen Proteinen wird die Autophagie hochreguliert und die Leberzellen vom schädlichen Zellmaterial befreit.

 

Spermidin und Typ 2 Diabetes

Typ 2 Diabetes wird durch eine zunehmende Resistenz der Körperzellen gegen Insulin verursacht. Die Beta-Zellen produzieren in Folge dessen immer mehr Insulin bis es zur vollständigen Erschöpfung und Zelluntergang (Apoptose) in der Bauchspeicheldrüse kommt. In einer Studie aus 2011 stellten die Forscher die Hypothese auf, dass Spermidin die Beta-Zellen des Pankreas aufgrund der verstärkten Autophagie von ungefalteten Proteinen, die durch übermäßige Stimulation der Beta-Zellen entstehen, befreit und somit vor Stress am endoplasmatischen Retikulum schützt. Die Apoptose der insulinbildenden Zellen wird somit hinausgezögert und die Insulinproduktion bleibt länger bestehen. Doch es müssen noch viele weitere Studien erfolgen, bis Spermidin eventuell als Therapeutikum zum Erhalt der Beta-Zellmasse und damit Behandlung der Insulinresistenz beim Typ 2 Diabetes eingesetzt werden kann.

Spermidin und Corona (SARS CoV-2)

Das Team um Prof. Christian Drosten und Dr. Marcel Müller fanden heraus, dass durch eine Corona-Infektion die Autophagie in menschlichen Zellen blockiert wird. Bereits bekannt war, dass Autophagie als zelluläre Abfallentsorgung sowohl beschädigte Zellbestandteile als auch Krankheitserreger wie zum Beispiel MERS-Coronavirus entsorgt. (s. unten)

Die Studie zeigt auch auf, dass das Spermidin-Level nach einer SARS-CoV-2-Infektion reduziert ist. Bereits bekannt war, dass die körpereigene Substanz Spermidin die Autophagie auslöst.

Es lag also nahe, dass die Infektion mit SARS-CoV-2 durch die Gabe von Spermidin beeinflusst werden könnte. Bestätigt hat sich, dass die Vermehrung des neuen Coronavirus durch Spermidin in den infizierten Zellen effektiv um 85% gehemmt wurde.

Zudem wurde herausgefunden, dass Spermidin auch vorbeugend wirksam sein kann. Eine Infektion mit SARS-CoV-2 von im Zellkulturexperiment vorbehandelten Zellen konnte um 70 % vermindert werden. Das würde bedeuten, dass eine prophylaktische Einnahme von Spermidin bei der Bekämpfung von SARS-CoV-2 helfen könnte. Allerdings ist es derzeit erst ein vielversprechender Ansatz. Es muss noch im Menschen erprobt werden. Die Autoren der Studie sind allerdings hoffnungsvoll, dass mit Spermidin – als körpereigenem Stoff und somit sehr verträglich –  möglicherweise ein vielversprechender Kandidat für die Behandlung von SARS-CoV-2-Infektionen zur Verfügung stehen könnte.

 

In welchen Lebensmitteln kommt Spermidin vor?

Es gibt zahlreiche Lebensmittel, die wir täglich konsumieren, in denen Spermidin enthalten ist. Laut Studien nehmen wir zwischen 7 und 15 mg Spermidin täglich über die Nahrung auf. Wer sich sehr ausgewogen, mit Vollkornprodukten, Hülsenfrüchte, viel Obst (z.B. Äpfel) und Gemüse (z.B. fermentierte Sojabohnen, Weizenkeime, Pilze) ernährt, nimmt dabei besonders viel Spermidin auf natürliche Weise zu sich und tut seiner Gesundheit damit etwas Gutes. Zudem kann so dem altersbedingten Abfall des Spermidin-Spiegels in den Zellen und im Blut entgegengewirkt werden.

Tabelle: Die Top 12 Spermidinlieferanten (aus Ali M et al. Polyamines in foods: development of a food database)

NahrungsmittelSpermidingehalt in mg pro 100g
Käse (Cheddar)10,0
Pilze8,8
Grüne Erbsen6,5
Birnen5,3
Sojabohnen (gekocht)5,1
Popcorn4,2
Brokkoli3,6
Blumenkohl3,0
Linsensuppe2,2
Rote Bohnen2,0
Hühnchen1,8
Kartoffeln (gekocht)1,2

Eine ausführliche Liste mit diversen spermidinreichen Nahrungsmitteln finden Sie zum Download unter: https://foodandnutritionresearch.net/index.php/fnr/article/view/595

 

Spermidin Kapseln als Nahrungsergänzungsmittel

Da Spermidin als gesundheitsfördernder Wirkstoff noch nicht ausreichend untersucht ist, gibt es bisher noch kein zugelassenes Arzneimittel. Es gibt jedoch eine Vielzahl an Anbietern von Nahrungsergänzungsmitteln, die ihre Produkte mit “enthält Spermidin” betiteln. Allerdings sind hier die Spermidinkonzentrationen so gering, dass es effektiv zu keinem gesundheitsunterstützenden Effekt kommen kann. Einzig spermidineLife® ist als erstes natürliches, spermidinreiches “Novel Food” offiziell zugelassen. Die Tagesdosis, 2 Spermidin Kapseln, enthält 800 mg Weizenkeimextrakt, darin 1 mg Spermidin. SpermidineLife® wurde u.a. in der oben erwähnten Smart-age Studie der Berliner Charité verwendet.

Da mittlerweile eine Vielzahl an Studien laufen, die den Einfluss von Spermidin auf die verschiedensten Krankheiten und Anti-Aging Effekt erforschen, wird es in Zukunft mit Sicherheit verlässliche Empfehlungen bezüglich der optimalen Verzehrmenge geben. In der Vergangenheit konnte jedoch zumindest die Unbedenklichkeit einer langfristig erhöhten Spermidin-Einnahme gezeigt werden.


Quellen und weiterführende Literatur
Letzte Aktualisierung: 17. April 2020

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