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Polidocanol hemmt Histamin-unabhängigen Juckreiz

Juckreiz ist nicht gleich Juckreiz: Polidocanol hemmt einen Histamin-unabhängigen Signalweg Die häufigste Form von Juckreiz wird durch Histamin ausgelöst und lässt sich durch Antihistaminika bekämpfen. Für manche Krankheiten wie die Atopische Dermatitis, deren chronischer Juckreiz die Lebensqualität der Patienten oft stark mindert, gilt das nicht. Das lokale Betäubungsmittel Polidocanol kann hier Linderung verschaffen.   Zahlreiche […]
Polidocanol hemmt Histamin-unabhängigen Juckreiz

Juckreiz ist nicht gleich Juckreiz: Polidocanol hemmt einen Histamin-unabhängigen Signalweg

Die häufigste Form von Juckreiz wird durch Histamin ausgelöst und lässt sich durch Antihistaminika bekämpfen. Für manche Krankheiten wie die Atopische Dermatitis, deren chronischer Juckreiz die Lebensqualität der Patienten oft stark mindert, gilt das nicht. Das lokale Betäubungsmittel Polidocanol kann hier Linderung verschaffen.

 

Zahlreiche Hautkrankheiten wie etwa die Atopische Dermatitis (Neurodermitis) gehen mit starkem und oft chronischem Juckreiz einher, der die Lebensqualität vieler Patienten deutlich mindern kann. Neben einer Bekämpfung der Krankheitsursachen ist deshalb auch die Linderung des Juckreizes ein erklärtes Therapieziel. Ein wichtiger Juckreiz-vermittelnder Botenstoff ist Histamin, das von Mastzellen – einer bestimmten Zellsorte des Immunsystems – ausgeschüttet wird (Abb. 1a). Histamin spielt vor allem bei allergischen Reaktionen vom Typ I eine Rolle wie der Urtikaria oder dem Heuschnupfen, bei denen Antigene von Antikörpern des Typs IgE erkannt werden. Diese Antikörper sitzen auf der Oberfläche von Mastzellen und aktivieren nach Bindung eines entsprechenden Antigens die Freisetzung von Histamin. Antihistaminika, äußerlich als Gel, Spray und Tropfen oder systemisch als Tabletten oder Injektion verabreicht, unterbinden die Wirkung von Histamin und damit den Juckreiz.

 

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Abb. 1a und 1b: Entstehung von Juckreiz. A) Allergene binden an IgE-Antikörper, die auf der Oberfläche von Mastzellen sitzen. Dadurch werden die Mastzellen dazu angeregt, Histamin auszuschütten. Wenn Histamin an bestimmte Empfänger auf anderen Zellen bindet, entsteht Juckreiz, der durch Antihistaminika unterbunden werden kann. B) Eine Histamin-unabhängige Form des Juckreizes wird durch Proteasen wie Mucunain ausgelöst. Mucunain befindet sich auf der Oberfläche der Samen der Juckbohne und aktiviert den Protease-aktivierten Rezeptor (PAR) auf Nervenzellen der Haut, indem es ihn spaltet. Dadurch entsteht Juckreiz, der sich nicht durch Antihistaminika bekämpfen lässt.

Histamin-unabhängiger Juckreiz muss anders bekämpft werden

Allerdings gibt es auch Juckreiz, der nicht über Histamine vermittelt wird. Dazu gehört beispielsweise der Juckreiz, der die Patienten mit Atopischer Dermatitis quält. Antihistaminika können deshalb diesen Patienten nicht helfen. Um Substanzen zu suchen, die gezielt gegen Histamin-unabhängigen Juckreiz wirken, bedient sich die Forschung eines Modellsystems, das auf den Samen der Juckbohne (Mucuna pruriens) beruht. Diese Samen tragen auf ihrer Oberfläche eine Cysteinprotease (Mucunain), ein Eiweiß, das andere Eiweiße in ihre Bestandteile zerlegt. Neben dieser Funktion kann Mucunain aber auch bestimmte Empfängermoleküle (Protease-aktivierte Rezeptoren, PAR-2 und PAR-4) auf Nervenzellen aktivieren, indem es ein Teil davon abspaltet (Abb. 1b). Als Folge davon entsteht Juckreiz, der von einer Histaminausschüttung unabhängig ist. Dieser Signalweg spielt unter anderem bei der Atopischen Dermatitis eine Rolle, und deshalb kann man mit Hilfe des Juckbohnenmodells Substanzen daraufhin untersuchen, ob sie die Symptome dieser Krankheit lindern können.

Juckreiz wird künstlich ausgelöst

Einen solchen Versuch haben Forscher der Charité – Universitätsmedizin Berlin mit dem lokalen Betäubungsmittel Polidocanol durchgeführt, das bekanntermaßen einen juckreizmindernden Effekt aufweist. Die Forscher testeten die Wirkung einer äußerlich angewendeten, 3%igen Polidocanol­zubereitung an 45 gesunden Erwachsenen (31 Frauen, 14 Männer), bei denen der Juckreiz künstlich ausgelöst wurde. Dies geschah an einer Stelle pro Unterarm durch das Einreiben von Samen der Juckbohne, an einer anderen Stelle durch einen Pricktest, bei dem eine Histaminlösung (10mg/ml) mittels einer feinen Nadel in die obere Hautschicht eingebracht wurde. Zuvor hatten die Versuchsteilnehmer auf einem Unterarm eine Polidocanolzubereitung und auf dem anderen eine wirkstofffreie Zubereitung (Placebo) erhalten. Der Versuch wurde doppelblind durchgeführt, es wussten also weder Behandler noch Probanden, auf welchem Arm Polidocanol und auf welchem das Placebo aufgetragen worden war. Nach Auslösen des Juckreizes wurde für 30 Minuten jede Minute die Intensität des Juckreizes bestimmt.

 

Policocanol hilft nur bei Histamin-unabhängigem Juckreiz

Auf den Hautarealen, die mit dem Placebo behandelt wurden, erzeugte der Pricktest mit Histamin charakteristische Quaddeln und eine Hautrötung. Bei der Behandlung mit Juckbohnensamen war dies nicht der Fall. Beide Behandlungen führten aber sehr schnell zu einem starken Juckreiz, der nach zwei bis drei Minuten ein Maximum erreichte. Die vorherige Behandlung mit Polidocanol konnte die Intensität des Juckreizes, der durch die Juckbohne erzeugt worden war, um 31% im Vergleich zur Placebobehandlung verringern. Auch die Juckreizdauer wurde um 37% verkürzt. Auf den Histamin-vermittelten Juckreiz hatte Polidocanol dagegen überhaupt keinen Einfluss. Weder nahmen Intensität und Dauer des Juckreizes ab, noch die Menge an Quaddeln oder die Hautrötung. Diese Ergebnisse zeigen, dass verschiedene Arten von Juckreiz unterschiedlich auf Wirkstoffe ansprechen können und deshalb unterschiedlich behandelt werden müssen. So kann Polidocanol bei Histamin-unabhängigen Formen des Juckreizes, bei denen Antihistaminika versagen, für Linderung sorgen.

 


Letzte Aktualisierung: 3. Mai 2019

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