Einführung
Die androgenetische Alopezie ist mit circa 95% die häufigste Form des Haarausfalls und ist gekennzeichnet durch einen chronisch fortschreitenden Verlust der Haardichte. Sie ist erblich, hormonell bedingt, weitgehend unabhängig von äußeren Einflüssen und nimmt mit steigendem Lebensalter zu. Betroffen sind hauptsächlich Männer sowie Frauen nach den Wechseljahren. Obwohl die androgenetische Alopezie nicht gesundheitsgefährdend ist, geht sie oft mit negativen Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein und die Lebensqualität der Betroffenen einher. Aus diesem Grund kann eine medikamentöse Behandlung angebracht sein.
Ursachen und Auslöser
Bei der androgenetischen Alopezie kommt es zu einer Verkürzung der Wachstumsphase des Haares und damit zu einer Verminderung der Haarschaftdicke. Die Terminalhaare des Kopfes werden in dünne Flaumhaare (Vellushaare) umgewandelt, bis das Haarwachstum vollständig eingestellt wird.
Eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der androgenetischen Alopezie spielen männliche Geschlechtshormone (Androgene). Männer mit androgenetischem Haarausfall haben zwar normale Androgenspiegel, aber spezielle Zellen im Haarfollikel, die das Wachstum des Haares steuern, reagieren bei ihnen empfindlicher auf Dihydrotestosteron (biologisch aktivste Form von Testosteron). Die Menge dieser Rezeptoren ist genetisch festgelegt, was die Erblichkeit dieser Form des Haarausfalls erklärt. Man geht von einer Erblichkeit von über 80% bei der männlichen Form des androgenetischen Haarausfalls aus, wobei mehrere Gene beteiligt zu sein scheinen.
Für die weibliche Form liegen entsprechende Daten bisher nicht vor. Auch zur Rolle der männlichen Geschlechtshormone bei Frauen mit androgenetischer Alopezie ohne hormonelle Dysregulation ist bisher wenig bekannt.
Symptome und Krankheitsverlauf
Der Beginn und das Ausmaß des Haarausfalls unterscheiden sich individuell sehr stark, doch in der Regel schreitet der Haarverlust kontinuierlich fort. Bei Männern beginnt der Haarausfall typischerweise mit dem Zurücktreten der Stirn-Haar-Grenze an den Schläfen, wodurch „Geheimratsecken“ entstehen. Im weiteren Verlauf kommt es zu einer zunehmenden Haarlichtung in der Scheitelregion auf dem Hinterkopf (Tonsurbereich). Dieses Muster entspricht der im europäischen Raum üblichen Norwood-Hamilton-Klassifikation.
Bei Frauen sind drei verschiedene Manifestationsmuster zu unterscheiden. Am häufigsten kommt es zu einem diffusen Ausdünnen der Haare auf dem Oberkopf (Klassifikation nach Ludwig), andere Manifestationen zeigen eine breitbasige Ausdünnung in der vorderen Scheitelregion, die nach hinten spitz zuläuft, so dass sich ein Tannenbaumuster bildet (Klassifikation nach Olsen) oder eine Ausbildung von Geheimratsecken wie beim männlichen Erkrankungsbild (Klassifikation nach Norwood-Hamilton).
Diagnose und Differentialdiagnose
Die wichtigsten Techniken zur Diagnose des androgenetischen Haarausfalls umfassen den Zupftest, eine Untersuchung des Haare und der Kopfhaut mit der Lupe oder einem Auflichtmikroskop (Dermatoskop) und die Erstellung eines Phototrichogramms. Nur in Ausnahmefällen müssen Haare mit der Wurzel gezogen und untersucht werden (Trichogramm) oder eine Biopsie der Kopfhaut durchgeführt werden.
Zur Diagnosestellung erfasst der Arzt zudem in der Anamnese alle medizinisch relevanten Informationen, wobei aufgrund der erblichen Komponente der androgenetischen Alopezie auch Krankheitsfälle bei nahen Verwandten abgefragt werden. Vor allem, wenn in der Familie keine Fälle von androgenetischer Alopezie bekannt sind, richtet sich das Augenmerk auch auf die Abwägung anderer Haarerkrankungen und der Möglichkeit eines medikamenteninduzierten Haarausfalls beispielsweise durch Präparate mit pro- oder antiandrogener Wirkung wie Anabolika, Antiepileptika, β-Blocker und Zytostatika.
Bei Frauen sind je nach Anamnese und Ergebnis der klinischen Untersuchung verschiedene Laboruntersuchungen zur differentialdiagnostischen Abklärung sinnvoll.
Therapie und Behandlung
Das Ziel aktueller Therapien ist, den Haarausfall zu stoppen, den Miniaturisierungsprozess umzukehren und das Wiederwachstum der Haare zu fördern. Dazu werden Haarfollikel, die sich in der Ruhephase befinden, zum Wiedereintritt in die Wachstumsphase angeregt und gleichzeitig der Eintritt von wachsenden Haaren in die Ruhephase verzögert. Zur Verlaufskontrolle der Therapie können standardisierte Übersichtsphotographien in regelmäßigen, meist sechsmonatigen Abständen erstellt werden.
Für einen Erfolg der Therapie ist die Akzeptanz durch den Patienten sowie seine Therapietreue von großer Bedeutung. Die Wahl des Therapeutikums sollte deshalb immer zusammen mit dem Patienten unter den Aspekten der Praktikabilität und der Kosten, die in der Regel von diesem selbst getragen werden müssen, abgestimmt werden.
Die Behandlung kann entweder topisch, also äußerlich im Kopfbereich, oder systemisch über oral einzunehmende Präparate erfolgen. Derzeit sind zwei pharmakologische Behandlungsverfahren durch Studien hinsichtlich ihrer Wirksamkeit bei der Behandlung der androgenetischen Alopezie gut untersucht und auch wirksam: die äußerliche Anwendung von Minoxidil, die Frauen und Männer durchführen können, und die systemische Therapie mit Finasterid, die für Männer, nicht für Frauen offiziell zugelassen ist. (s. Tabelle 1).
Beide Substanzen stimulieren das Wiederwachstum der Haare, sofern noch keine Kahlheit besteht, und sind relativ gut verträglich. Allerdings müssen sie kontinuierlich und dauerhaft angewendet werden, um zum Erfolg zu führen. Minoxidil und Finasterid haben den höchsten Wirksamkeitsnachweis (Evidenzlevel 1), den andere Wirkstoffe nicht erreichen (Tabelle 1).
Androgenetische Alopezie – Äußerliche Behandlung
Nach aktueller Studienlage besteht die beste Wirksamkeit bei einer Lokaltherapie mit Minoxidil (z.B. Minoxidil Bio-H-Tin), dessen wirksames Stoffwechselprodukt Minoxidilsulfat vermutlich zu einer verbesserten Durchblutung führt, wobei der genaue Wirkmechanismus jedoch noch nicht bekannt ist. Das Produkt ist frei verkäuflich und kann sowohl ein Fortschreiten der Erkrankung verhindern als auch zu einer Zunahme von Haardichte und Haardicke führen.
Die Wirkung von Minoxidil setzt frühestens nach sechsmonatiger, konsequenter Anwendung ein. Zu beachten ist, dass es häufig nach 4 bis 8 Wochen zu einem verstärkten Haarausfall, dem sogenannten „shedding“, kommt. Ursächlich hierfür ist, dass mit Eintreten der Haarfollikel in den neuen Wachstumszyklus die alten Haare ausfallen.
Bei einer Beendigung der Therapie kommt es nach acht bis 12 Wochen erneut zu einem verstärkten Haarausfall mit dem Verlust der vorab dazu gewonnenen Haare.
Die Anwendung von Minoxidil kann zu Unverträglichkeitsreaktionen mit Schuppung und Juckreiz führen, in seltenen Fällen auch zu einer allergischen Kontaktdermatitis. In Schwangerschaft und Stillzeit sollte das Medikament nicht angewendet werden.
Androgenetische Alopezie – Systemische Therapie
Finasterid hemmt ebenfalls die Aktivität der 5α-Reduktase und ist seit 1998 zur systemischen Behandlung von Männern mit androgenetischer Alopezie in einer Dosierung von 1 mg täglich zugelassen (z.B. Finaristo® 1mg Filmtabletten). Klinische Studien belegen, dass die durch Finasterid herbeigeführte Senkung des Dihydrotestosteronspiegels ein Fortschreiten der Erkrankung verhindern und eine Stimulation des Haarwachstums erzielen kann. Bei Männern im Alter von über 45 Jahren sollte vorab eine urologische Untersuchung durchgeführt werden, da 5α-Reduktasehemmer die Größenzunahme der Prostata beeinflussen, und die Menge an postataspezifischem Antigen (PSA) reduzieren können, was möglicherweise die Früherkennung von Prostatakrebs verzögert. Finasterid ist relativ gut verträglich, doch kommt es in 2% der Fälle zu einem Verlust der Libido und erektiler Dysfunktion. Auch waren unter der Gabe von Finasterid Veränderungen im Spermiogramm nachweisbar, die sich jedoch nach dem Absetzen des Medikaments normalisierten. Ein Einfluss auf die Fruchtbarkeit und das Auftreten von Brustkrebs bei Männern ist nicht belegt.
Für die Behandlung der androgenetischen Alopezie bei Frauen ist Finasterid nicht zugelassen.
Tabelle: Auflistung der Wirkstoffe mit Anwendungsempfehlungen
Wirkstoff | Männer | Frauen | Evidenzlevel* | Bemerkung |
---|---|---|---|---|
Minoxidil | 2x täglich, 2-5% Lösung | 2x täglich, 2% Lösung | 1 | Keine Anwendung während Schwangerschaft/Stillzeit! „Shedding“ zu Beginn der Therapie |
Alfatradiol | 1x täglich Lösung | 1x täglich Lösung | Wirksamkeit nicht eindeutig belegt | |
Finasterid | 1x täglich 1 Tablette (1 mg) | Nur in Ausnahmefällen anzuwenden | 1 | Bei Frauen nur in Kombination mit sicherer Verhütung! |
Dutasterid | 0,5 mg/Tag, orale Gabe | Keine Erfahrungen | Für die Behandlung der AGA nicht zugelassen | |
Hormone | Keine Anwendung | Orale Antiandrogene zur Behandlung von Patientinnen mit hormoneller Dysregulation | 3 | Nur in Kombination mit sicherer Verhütung! |
Lasertherapie | Allein oder in Kombination mit medikamentöser Behandlung | Nebenwirkungfreie, zuhause durchführbare Behandlung | ||
Haartransplantation | Behandlung in Kombination mit Finasterid | 4 | Ausreichend Spenderhaar muss zur Verfügung stehen | |
Kosmetische Naturprodukte | Keine ausreichenden wissenschaftlichen Wirkungsnachweise |
Sie wollen mehr Informationen zu erblich bedingten oder kreisrunden Haarausfall? Dann lesen Sie jetzt unsere ausführlichen Artikel zur androgenetischen Alopezie von Prof. Abeck und Alopecia areata von Frau Dr. Tetsch!
Quellen und weiterführende Literatur
- Afifi L et al. Low-level laser therapy as a treatment for androgenetic alopecia. Lasers Surg Med 2016; im Druck
- Blume-Peytavi U, Vogt A. Androgenetische Alopezie. Hautarzt 2013;64: 820-829
- Blumeyer A et al. Evidence-based (S3) guideline for the treatment of androgenetic alopecia in women and men. J Dtsch Dermatol Ges 2011;9 (Suppl. 6):S1-S57
- Ioannides D, Lazaridou E. Female pattern hair loss. Curr Probl Dermatol 2015;47:45-54
- van Zuuren EJ, Fedorowicz Z, Schoones J. Interventions for female pattern hair loss. Cochrane Database Systv Rev 2016;CD007628