Hereditäres Angioödem

Angioödeme sind Schwellungen von Haut und Schleimhäuten, die verschiedene Ursachen haben können und sich anhand ihrer Pathogenese in zwei Formen einteilen lassen: das Mastzellmediator-induzierte und das Bradykinin-vermittelte Angioödem.

Ein Fachbeitrag von
Facharzt für Dermatologie, Venerologie, Allergologie
Hereditäres Angioödem

Zusammenfassung

Angioödeme sind Schwellungen von Haut und Schleimhäuten, die verschiedene Ursachen haben können und sich anhand ihrer Pathogenese in zwei Formen einteilen lassen: das Mastzellmediator-induzierte und das Bradykinin-vermittelte Angioödem. Das hereditäre Angioödem (HAE) ist eine erbliche Unterform der letztgenannten Form, bei der Schwellungen durch die vermehrte Bildung des Entzündungsmediators Bradykinin entstehen. Ursächlich für das hereditäre Angioödem ist ein funktioneller Mangel des Proteins C1-Inhibitor (C1-INH). Neben den unterschiedlich stark ausgeprägten, nicht-juckenden Hautschwellungen sind krampfartige und schmerzhafte Beschwerden im Magen-Darm-Trakt typisch. Verglichen mit anderen Formen ist das hereditäre Angioödem meist durch häufige und schwere Attacken gekennzeichnet, die im Extremfall tödlich verlaufen können. Neben der Bedarfsbehandlung beim Auftreten von Symptomen erhalten viele Patienten eine Langzeitprophylaxe, um die Attacken zu reduzieren und abzuschwächen. Unter den zur Verfügung stehenden Wirkstoffen haben C1-Inhibitor-Konzentrate derzeit die größte Bedeutung.

Auf einen Blick

+ Auftreten alle Altersstufen von Geburt an, bei Frauen und Männern gleich häufig, aber Symptome bei Frauen oft stärker, die seltene Form des HAE-3 betrifft hauptsächlich Frauen

+ Symptome plötzlich auftretende Hautschwellungen vor allem im Gesicht und an den Extremitäten, krampfartige Unterleibsbeschwerden mit Übelkeit, Erbrechen und wässrigem Durchfall, bei Schwellungen im Halsbereich droht Erstickungstod

+ Einflussfaktoren erblich bedingter C1-INH-Mangel, mechanische Einwirkungen durch Traumen wie Stöße, Druck und Operationen (vor allem der oberen Luftwege)

+ Ansteckungsgefahr keine

Hereditäres Angioödem

Einführung

Angioödeme (früher als Quincke-Ödeme bezeichnet) sind Schwellungen, die lokalisiert auftreten, durchschnittlich ein bis drei Tage andauern und meist in unregelmäßigen Abständen wiederkehren. Betroffen sind vor allem die Haut von Gesicht und Extremitäten, seltener Lippen, Zunge, Rachen (Pharynx), Kehlkopf (Larynx) und andere Weichteilorgane. Die Schwellungen entstehen durch eine erhöhte Durchlässigkeit der Blutgefäßwände infolge vaskulärer Reaktionen in tieferen Gewebeschichten der Haut und variieren in ihrer Ausprägung sehr stark. Während leichte Schwellungen an den Extremitäten nicht immer behandlungs­bedürftig sind, können ausgeprägte Ödeme die Lebensqualität der Patienten stark einschränken, insbesondere wenn sie regelmäßig wiederkehren. Im Halsbereich, vor allem bei Beteiligung des Kehlkopfes, sind Angioödeme lebensbedrohlich und gelten deshalb als Notfälle, die im Krankenhaus behandelt werden müssen. Besonders schwere Verläufe mit zusätzlichen Beschwerden im Magen-Darm-Trakt zeigt das mit einer Inzidenz von 1,5:100.000 sehr seltene hereditäre Angioödem.

Ursachen und Auslöser

Angioödeme werden in zwei Gruppen eingeteilt, die eine unterschiedliche Pathogenese aufweisen und deshalb auch unterschiedlich behandelt werden müssen. Die sogenannten Mastzellmediator-induzierten Angioödeme sind dabei wesentlich häufiger als die Bradykinin-vermittelten Angioödeme, zu denen das hereditäre Angioödem gehört.

Im Falle des Mastzellmediator-induzierten Angioödems ist die Freisetzung von Histamin aus Hautmastzellen für die Schwellungen verantwortlich. Da eine solche Histaminausschüttung auch für durch IgE vermittelte allergische Reaktionen vom Soforttyp (Typ I) kennzeichnend ist, können Mastzellmediator-induzierte Angioödeme als Symptome einer allergischen oder pseudoallergischen Reaktion auftreten. Vor allem im Rahmen einer Nesselsucht (Urtikaria) ist dies häufig der Fall. In der Regel zeigen sich dann klinisch die Angioödeme neben juckenden Quaddeln.

Zu den deutlich selteneren Bradykinin-vermittelten Angioödemen gehören sowohl angeborene Formen wie das hereditäre Angioödem als auch erworbene Formen. Letztere werden oft durch Arzneimittel, vor allem die sogenannten ACE (angiotensin-converting enzyme) -Hemmer, ausgelöst, können aber auch Symptom einer internistischen Grunderkrankung sein. Ursächlich für das hereditäre Angioödem ist ein funktioneller Mangel an C1-Esterase-Inhibitor (C1-INH), einem Protein, das eine regulatorische Funktion in der Blutgerinnung und im Komplementsystem des Immunsystems ausübt. Der Mangel lässt sich auf einen genetischen Defekt des SERPING1-Gens zurückführen, das für den C1-Esterase-INH kodiert. Die Vererbung verläuft autosomal-dominant, d.h. eine defekte Genkopie ist ausreichend, um die Krankheit auszulösen. Im SERPING1-Gen sind inzwischen bereits über 450 Mutationen bekannt. Eine neue, also nicht von den Eltern vererbte Mutation, tritt bei etwa 20-25% der Patienten und damit recht häufig auf.

Im Zentrum der Pathogenese der Bradykinin-vermittelten Angioödeme steht das vasoaktive Peptid Bradykinin, das u.a. als Mediator von Entzündungen wirkt. Durch seine Bindung an den Bradykinin-B2-Rezeptor löst es einen verstärkten Austritt von Flüssigkeit aus den Gefäßen in das umliegende Gewebe aus – es entstehen die typischen Schwellungen. Bradykinin entsteht durch proteolytische Spaltung des Vorläuferproteins Kininogen. Katalysiert wird diese Spaltung durch das Enzym Plasma-Kallikrein. Diese wiederum wird durch den Blutgerinnungsfaktor XII aktiviert. C1-INH ist ein Regulator dieses sogenannten Kallikrein-Kinin-Systems und hemmt sowohl Plasma-Kallikrein als auch Faktor XII. Infolge dieser hemmenden Aktivität von C1-INH wird weniger Bradykinin gebildet.

Je nach zugrundeliegendem Gendefekt wird das hereditäre Angioödem in die beiden Typen HAE-1 und HAE-2 unterteilt: Bei HAE-1 fehlt eine Genkopie oder wird nur schwach abgelesen, so dass insgesamt zu wenig C1-INH produziert wird. Bei HAE-2 führen die Mutationen dagegen dazu, dass der Inhibitor in seiner Funktion eingeschränkt ist. Es wird also eine ausreichende Menge an C1-INH gebildet, die Proteinaktivität ist aber reduziert. Mit 85% entfallen die meisten Fälle auf HAE-1. Ein Sonderfall ist das hereditäre Angioödem mit normalem C1-INH (auch HAE-3), das fast ausschließlich bei Frauen auftritt. Obwohl hier einige Mutationen – beispielsweise in den Genen für Faktor XII, Angiopoetin 1 oder Plasminogen – bekannt sind, ist die Pathogenese dieser Unterform noch kaum verstanden.

Symptome und Krankheitsverlauf

Klinisch sind die Formen des hereditären Angioödems, die mit C1-Esterase-INH-Mangel einhergehen (HAE-1 und HAE-2), nicht voneinander zu unterscheiden. Sie sind durch Ödeme gekennzeichnet, die in Form von Attacken auftreten, und sich nach durchschnittlich ein bis drei Tagen wieder zurückbilden. Hauptsächlich betroffen sind die Haut im Gesicht, an den Extremitäten und im Genitalbereich, der Magen-Darm-Trakt und in selteneren Fällen die Schleimhäute der oberen Luftwege sowie die ableitenden Harnwege. Je nach Ausprägung kann das anfängliche Spannungsgefühl in ein Brennen oder Schmerzen übergehen. Juckreiz ist dagegen selten. Magen-Darm-Attacken dauern meist zwischen zwei und sieben Tagen und äußern sich überwiegend in krampfartigen Unterleibsschmerzen und Übelkeit. Auch Brechreiz und Erbrechen sind häufig. Im Verlauf der Attacken kommt es zu einer Ansammlung von Wasser in der freien Bauchhöhle (Aszites) sowie zu wässrigen Durchfällen. Der dadurch bedingte große Flüssigkeitsverlust kann schwere Kreislaufsymptome bis hin zum Schock hervorrufen. Treten die Unterleibssymptome ohne begleitende Hautsymptome auf, kann dies zu einem Verdacht auf Blinddarmentzündung führen und einen nachfolgenden operativen Eingriff führen, der dann keine Veränderungen am Blinddarm zeigt.

Herditäres Angioödem

Besonders gefährlich sind Ödeme der oberen Luftwege wie das Larynxödem, das sich oberhalb der Stimmlippen (supraglottisch) ausbildet. Larynxödeme sind zwar sehr selten, treten aber oft nach einer mechanischen Einwirkung auf die oberen Atemwege, etwa nach einer Zahnbehandlung oder einer operativen Entfernung der Halsmandeln, auf. Sie sind die häufigste Todesursache durch Angioödeme und verdienen von daher besonderer Aufmerksamkeit. Erstickungsfälle kommen in erster Linie bei nicht-diagnostizierten Personen vor, die mit den Symptomen des hereditären Angioödems noch nicht vertraut sind. Weitere Organe im Mund-/Halsbereich wie Zunge und weicher Gaumen können in seltenen Fällen ebenfalls betroffen sein. Die meisten Attacken treten spontan, ohne erkennbaren Auslöser auf. In manchen Fällen können aber Traumen wie Stöße oder Druck, Operationen, psychischer Stress oder Infekte eine Attacke auslösen. Manchmal zeigen Müdigkeit und Abgeschlagenheit, ein verstärktes Durstgefühl, Stimmungsveränderungen wie Aggressionen und Depressionen oder ein nicht-juckender, roter Hautausschlag am Rumpf (Erythema marginatum) das Auftreten eines Angioödems an.

Typischerweise treten Symptome des hereditären Angioödems erstmals im ersten und zweiten Lebensjahrzehnt auf. Die Häufigkeit und Schwere der Attacken variiert zwischen verschiedenen Patienten beträchtlich und kann sich auch bei einem Patienten im Verlauf des Lebens verändern. Mit zunehmendem Alter nehmen die Symptome oft ab. Obwohl die Krankheit etwa gleich häufig bei Männern und Frauen vorkommt, sind die Symptome bei Frauen oft stärker. Manchmal sind sie darüber hinaus an bestimmte Phasen des Menstruationszyklus gekoppelt. Auch Östrogenhaltige Arzneimittel zur Verhütung oder Hormonersatztherapie können die Krankheit verstärken.

Diagnose und Differentialdiagnose

Da Angioödeme als Begleiterscheinung verschiedener Krankheiten auftreten können und sich die verschiedenen Formen zudem klinisch stark ähneln, ist die richtige Diagnosestellung oft eine Herausforderung. Die Diagnose hereditäres Angioödem ergibt sich immer aus einem Zusammenspiel des klinischen Bilds, dem Ergebnis laborchemischer Untersuchungen und gegebenenfalls einer positiven Familienanamnese. Differentialdiagnosen sind vor allem das Mastzellmediator-induzierten Angioödem und die erworbenen Formen des Bradykinin-vermittelten Angioödems. Isolierte Magen-Darm-Attacken des hereditären Angioödems können außerdem mit einer akuten Blinddarmentzündung verwechselt werden.

Klinische Untersuchung und Anamnese

Da die Mastzellmediator-induzierte Form des Angioödems die weitaus häufigste Form darstellt, sollte zuerst an sie gedacht werden. Das gilt insbesondere bei einer Vorgeschichte von Allergien, Nesselsucht (Urtikaria), Nahrungsmittel- oder Medikamentenunverträglichkeiten sowie bei bestehenden Infekten, die – oder deren Behandlung durch Fiebersäfte, Schmerzmittel und Antibiotika – ebenfalls Angioödeme auslösen können. So ist die chronische spontane Urtikaria, unter der weltweit rund 1% der Bevölkerung leiden, die häufigste Ursache für wiederkehrende Angioödeme. Im klinischen Bild lassen sich in diesem Fall oft juckende Quaddeln zusätzlich zu den Schwellungen feststellen. Allerdings sind Quaddeln kein sicheres diagnostisches Zeichen, da auch Fälle von chronisch spontaner Urtikaria ohne Quaddelbildung bekannt sind und andererseits Patienten mit Bradykinin-vermitteltem Angioödem aufgrund gleichzeitig bestehender Allergien oder Unverträglichkeiten Quaddeln ausbilden können. Symptome im Magen-Darm-Trakt sind dafür ein sicheres Zeichen für ein hereditäres Angioödem, da sie bei Mastzellmediator-induziertem Angioödem nicht vorkommen. Ein gehäuftes Auftreten von Krankheitsfällen bei Familienmitgliedern weist ebenfalls immer auf eine erbliche Krankheitsform hin. Weitere Hinweise sind Schwellungen im Bereich der oberen Atemwege und ein Nicht-Ansprechen auf eine Behandlung mit Antihistaminika und Glukokortikoide wie sie für die Behandlung des Mastzellmediator-induzierten Angioödems eingesetzt werden.

Um erworbene Formen des Bradykinin-vermittelten Angioödems auszuschließen, sollte immer eine ausführliche Medikamentenanamnese erfolgt. Die Einnahme von ACE-Hemmern zur Behandlung von arteriellem Bluthochdruck und Herzinsuffizienz sollte hier zuerst abgefragt werden, da ACE ein Enzym ist, das den Abbau von Bradykinin fördert. Wird seine Aktivität durch ACE-Hemmer unterbunden, kann die Konzentration von Bradykinin trotz ausreichender Menge an funktionalem C1-Inhibitor so stark steigen, dass Angioödeme entstehen. Die Einnahme von ACE-Hemmern ist deshalb auch für Patienten mit diagnostiziertem hereditärem Angioödem kontraindiziert. Bei immerhin rund 0,7% der Patienten, die mit ACE-Hemmern behandelt werden, treten früher oder später – zum Teil erst Jahre nach Behandlungsbeginn –Angioödeme auf, die bevorzugt im oberen Atemtrakt, also an der Zunge, den Lippen, dem Schlund und Kehlkopf lokalisiert sind. Auch Angiotensin-Rezeptor-1-Antagonisten (Sartane) zur Behandlung von Bluthochdruck und Gliptine zur Behandlung von Diabetes mellitus können das Risiko für ein Auftreten von Angioödemen erhöhen.

Einen weiteren differentialdiagnostischen Hinweis kann das Lebensalter der Patienten liefern. Während Mastzellmediator-vermittelte Angioödeme in jedem Alter vorkommen, treten erworbene Form des Bradykinin-vermittelten Angioödems in der Regel erst bei älteren Patienten auf, die regelmäßig Medikamente wie ACE-Hemmer, Schmerzmittel oder Hormonersatzmittel einnehmen. Ebenfalls häufiger bei älteren Menschen sind erworbene Angioödeme, die mit einem Mangel an C1-INH einhergehen. Ein solcher erworbener C1-INH-Mangel verweist meist auf eine internistische (hämatologische) Grunderkrankung, die durch eine eingehende Blutuntersuchung ausgeschlossen werden sollte. Angioödeme, die erst mit Einsetzen der Pubertät oder der Einnahme von Hormonpräparaten bei Mädchen und Frauen auftreten, können zur Sonderform hereditäres Angioödem Typ III (HAE-3) gehören, das oft nicht richtig diagnostiziert wird, da auch Familienanamnesen nur bedingt auf eine Erblichkeit verweisen.

Laborchemische Untersuchungen

Deuten Anamnese und klinisches Bild auf ein hereditäres Angioödem hin, sollten laborchemische Untersuchungen durchgeführt werden. Nach der Diagnosestellung sollten auch Blutsverwandte der Betroffenen, selbst wenn sie bislang keine Symptome aufweisen, untersucht werden. Auf diese Weise lässt sich verhindern, dass eventuell nicht-diagnostizierte Betroffene überraschend ein Larynxödem entwickeln und daran versterben. Bei Kindern liefern die laborchemischen Untersuchungen in der Regel zwar erst ab dem zweiten Lebensjahr verlässliche Ergebnisse, aber auch in den ersten Lebensmonaten können zumindest Hinweise auf die Erkrankung erhalten werden. Gegebenenfalls müssen die Untersuchungen im zweiten Lebensjahr wiederholt werden.

Im ersten Schritt werden im Blutplasma die Konzentrationen der Proteine C1-INH und C4 sowie die Aktivität von C1-INH bestimmt. C4 gehört zum Komplementsystem, das einen Teil des Immunsystems darstellt und aktiviert wird, wenn ein Mangel an funktionellem C1-INH vorliegt. Infolgedessen wird das C4-Protein gespalten. Ein niedriger C4-Wert ist dementsprechend für ein hereditäres Angioödem charakteristisch. Durch diese laborchemischen Untersuchungen lassen sich auch HAE-1 und HAE-2 voneinander unterscheiden. So sind bei HAE-1 sowohl C1-INH-Konzentration als auch -aktivität erniedrigt, während bei HAE-2 lediglich die C1-INH-Aktivität verringert, die -Konzentration dagegen meist normal oder sogar erhöht ist. Patienten mit erworbenem C1-INH-Mangel weisen vergleichbare Laborwerte auf wie Patienten mit hereditärem Angioödem. Diese Patienten sind aber wie oben aufgeführt in der Regel bereits älter und weisen assoziierte Grunderkrankungen auf, die eine erweiterte Diagnostik nötig machen. Sind die Laborwerte nicht eindeutig, kann zur weiteren Abklärung eine genetische Untersuchung zum Nachweis des Gendefekts durchgeführt werden. Wenn möglich sollte dies in einem darauf spezialisierten Behandlungszentrum erfolgen.

Therapie und Behandlung

Für die erfolgreiche Behandlung von Angioödemen muss die Pathogenese geklärt sein. So lassen sich Mastzellmediator-induzierte Angioödeme mit Hilfe von Antihistaminika und entzündungshemmenden Glukokortikoiden behandeln. Für die Therapie von Bradykinin-vermittelten – und damit auch für hereditäre – Angioödeme sind diese beiden Wirkstoffgruppen dagegen wirkungslos. Grundsätzlich gilt, dass jede Attacke so früh wie möglich behandelt werden sollte, um die Entstehung lebensgefährlicher Schwellungen zu verhindern und die Belastung durch die Beschwerden insgesamt zu reduzieren. Betroffene sollten deshalb immer ein Notfallset für die Behandlung von mindestens zwei Attacken zur Verfügung haben. Während Schwellungen an Armen und Beinen, die keine größeren Beschwerden verursachen, nicht immer behandlungsbedürftig sind, sollten Gesichtsschwellungen immer behandelt werden. Schwellungen im Bereich des Kehlkopfs sind als Notfall anzusehen und im Krankenhaus zu behandeln.

Für die Therapie des hereditären Angioödems gibt es zwei verschiedene Strategien: die Bedarfstherapie („On-demand-Therapie“), bei den Attacken erst nach Einsetzen der ersten Symptome behandelt werden, und die Dauertherapie, die das Ziel hat, Attacken ganz zu verhindern.

Treten nur selten Attacken auf oder sind diese eher schwach ausgeprägt, reicht oft eine Bedarfsbehandlung aus. Ein Vorteil dieser Behandlungsform ist, dass insgesamt geringere Wirkstoffmengen verabreicht werden. Gerade bei einer Neigung zu Larynxödemen ist jedoch eine Dauerbehandlung sinnvoll, um die Gefahr des Erstickungstods durch ein plötzlich auftretendes Angioödem zu verringern. Beim Einsetzen einer Attacke sollte aber auch unter Dauerbehandlung eine medikamentöse Bedarfstherapie erfolgen. Im Vorfeld von geplanten Operationen im Mund-/Halsbereich ist es außerdem angeraten, eine Kurzzeitprophylaxe durchzuführen. Für die Behandlung von Patienten mit HAE-3 sind noch keine Therapien zugelassen. Diese Patienten können aber oft von einer zulassungsüberschreitenden Anwendung („Off Label“) von Wirkstoffen für die Behandlung von HAE-1 und HAE-2 profitieren.

Medikamentöse Therapie von akuten Attacken

Für die Bedarfsbehandlung des hereditären Angioödems stehen verschiedene Medikamente zur Verfügung, die zum Teil intravenös, zum Teil subkutan verabreicht werden. Diese Wirkstoffe sind zur Heimselbstbehandlung zugelassen, sofern die Patienten oder ihre Angehörigen entsprechend geschult sind oder eine qualifizierte Heimtherapiefirma beauftragt wird.

C1-INH-Konzentrat

Der funktionelle Mangel an C1-INH lässt durch die intravenöse Gabe eines C1-INH-Konzentrats beheben. Auf diese Weise wird die hemmende Funktion von C1-INH auf das Kallikrein-Kinin-System wiederhergestellt.

In Deutschland besteht eine mehr als 30jährige Erfahrung mit der Behandlung des hereditären Angioödems durch die intravenöse Gabe des C1-INH-Konzentrats Berinert® (CSL Behring GmbH, Marburg). Für die Behandlung stehen Berinert®500 und Berinert®1500 zur Verfügung. Als wirksame Dosis hat eine 2009 veröffentlichte randomisierte, klinische Studie 20 Internationale Einheiten (IE) pro Kilogramm Körpergewicht ermittelt, und diese Dosis sollte bei Schwellungen im Kopf- und Halsbereich immer zum Einsatz kommen. Bei nicht lebensbedrohlichen Schwellungen kann die Behandlung dagegen auch mit niedrigerer Dosierung begonnen werden.

Eine Alternative zu Berinert® stellt die intravenöse Gabe von Cinryze® (Shire, UK) dar, das in Europa 2011 zur Behandlung von HAE-1 und HAE-2 zugelassen wurde. Hier wird für die Behandlung von Erwachsenen und Jugendlichen sowie Kindern ab 6 Jahren eine gewichtsunabhängige Dosis von 1.000 IE empfohlen.

Die erste Besserung erfolgt bei beiden Wirkstoffen durchschnittlich nach 30-60 Minuten. Die Behandlung gilt als sehr sicher, schwere Nebenwirkungen wie anaphylaktische Schocks treten nur extrem selten auf. Da beide Wirkstoffe aus menschlichem Blutplasma gewonnen werden, sollten Patienten jedoch gegen Hepatitis B geimpft werden.

Icatibant

Das synthetische Peptid Icatibant (Firazyr®) weist eine dem Bradykinin ähnliche Struktur auf und kann deshalb an den Bradykinin-Rezeptor binden. Auf diese Weise blockiert Icatibant den Rezeptor und verhindert, dass Bradykinin binden und seine Wirkung entfalten kann. Man spricht von einer antagonistischen Wirkung des synthetischen Peptids. Firazyr® ist als Fertigspritze mit 30 mg Icatibant erhältlich und wird langsam subkutan injiziert. In der Regel ist diese Einmaldosis zur Behandlung einer Attacke ausreichend. Sollten die Symptome bestehen bleiben oder wieder auftreten, kann nach sechs Stunden eine zweite und in Ausnahmefällen nach erneuten sechs Stunden eine dritte Dosis verabreicht werden. Bei Kindern wird gewichtsadaptiert dosiert. Wie bei Berinert® und Cinryze® zeigt sich der Erfolg nach 30-60 Minuten. Nach der Injektion können Rötungen, Quaddeln und Schmerzen an der Injektionsstelle auftreten, auch Nebenwirkungen in Form von Müdigkeit und Abgeschlagenheit sind beschrieben.

Conestat alfa

Als Alternative zu aus menschlichem Plasma isoliertem C1-INH existiert der rekombinant in Kaninchen hergestellte humane C1-Inhibitor Conestat alfa der niederländischen Firma Pharming Group (Ruconest®). Aufgrund der Herstellung im Tier ist der rekombinante C1-INH instabiler als der aus menschlichem Plasma gewonnene. Außerdem besteht die Gefahr einer allergischen Reaktion bei Menschen mit Kaninchenallergie. Dafür entfallen die Nachteile eines aus menschlichem Plasma gewonnenen Faktors wie die Möglichkeit einer Übertragung von Krankheitserregern wie Hepatitis B. Ruconest® wird intravenös mit einer Dosierung von 50 Einheiten pro Kilogramm Körpergewicht verabreicht. Die häufigste Nebenwirkung sind Kopfschmerzen.

Tabelle 1: Behandlung von akuten Attacken (Bedarfstherapie)

WirkprinzipWirkstoffVerabreichung
Substitution von C1-INHC1-INH-Konzentrat, Berinert®intravenös oder subkutan
C1-INH-Konzentrat, Cinryze®intravenös
Rekombinanter C1-INH Conestat alfa, Ruconest®intravenös
Bradykinin-AntagonistIcatibant, Firazyr®subkutan

Medikamentöse Langzeitprophylaxe

Eine Dauerbehandlung ist angezeigt, wenn trotz optimaler Bedarfsbehandlung noch immer mehr als zwölf schwere Attacken pro Jahr oder an 24 Tagen im Jahr Symptome auftreten. Sowohl Berinert® als auch Cinryze® sind für die Langzeitprophylaxe geeignet, auch wenn Berinert® in Europa für diese Indikation noch nicht zugelassen ist. Eine langfristige Anwendung von C1-Inhibitoren führt bei manchen Patienten dazu, dass die Krankheitsaktivität zunimmt und ein Mehrbedarf an Wirkstoff entsteht.
Neue Therapieoptionen konzentrieren sich auf subkutane Verabreichungsformen. Dafür stehen für Erwachsene und Jugendliche zurzeit ein subkutan wirksames Berinert®-Derivat (Berinert® 2000/3000) und der rekombinante, mononukleare Antikörper Lanadelumab (Takhzyro®) zur Verfügung. Letzterer hemmt das Enzym Plasma-Kallikrein.

Neben den genannten neuentwickelten Wirkstoffen, die direkt in das Kallikrein-Kinin-System eingreifen, werden für die Langzeitprophylaxe abgeschwächte Androgenderivate wie Danazol und Oxandrolon eingesetzt. Ihre Wirksamkeit ist hoch, allerdings ist auch eine Vielzahl an möglichen Nebenwirkungen beschrieben. Dazu gehören Gewichtszunahme, Menstruationsstörungen und Virilisierung (Vermännlichung) bei weiblichen Patienten, Depressionen, Bluthochdruck und Harnblasenentzündungen. Darüber hinaus sind abgeschwächte Androgene potenziell toxisch für Leberzellen und erhöhen das Risiko für Leberzelltumore. Regelmäßige Blutuntersuchungen sind deshalb notwendig. In der Schwangerschaft dürfen abgeschwächte Androgene aufgrund ihrer Hormonwirkung nicht verwendet werden, und es gibt eine Fülle von Kontraindikationen und unerwünschten Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln. In Deutschland sind abgeschwächte Androgene nicht zugelassen, so dass sie über eine internationale Apotheke bezogen werden müssen. Eine entsprechende Behandlung sollte wenn möglich über ein Angioödem-Behandlungszentrum erfolgen. Aufgrund geringerer Nebenwirkungen wird zur Langzeitbehandlung bei Kindern gerne der antifibrinolytische Wirkstoff Tranexamsäure eingesetzt. Seine Wirksamkeit ist jedoch deutlich geringer als die der abgeschwächten Androgene, und er darf nicht bei Patienten mit Thromboseneigung zum Einsatz kommen. Bei Frauen kann eine Behandlung mit Gelbkörperhormonen (Gestagenen), etwa mit der östrogenfreien „Minipille“, die das Gestagen Desogestrel enthält, eine positive Wirkung zeigen.

Tabelle 2: Medikamentöse Langzeitprophylaxe (Dauertherapie)

WirkprinzipWirkstoffVerabreichung
Substitution von C1-INHC1-INH-Konzentrat, Berinert®intravenös oder subkutan
C1-INH-Konzentrat, Cinryze®intravenös
Hemmung von Plasma-KallikreinLanadelumab, Takhzyro®subkutan
Abgeschwächte AndrogenderivateDanazol, Oxandrolonoral
Antifibrinolytische WirkstoffeTranexamsäure, Cyklocapron®-Filmtablettenoral
GestageneDesogestreloral

Medikamentöse Kurzzeitprophylaxe

Patienten mit C1-INH-Mangel sollten etwa eine Stunde vor einer Intervention, die mit einer mechanischen Einwirkung auf die oberen Atemwege einhergeht, eine Kurzzeitprophylaxe erhalten. Dazu eignet sich u.a. eine intravenöse Berinert®-Gabe.

Behandlung von Schwangeren, Säuglingen und Kleinkindern

In der Schwangerschaft und Stillzeit wird die Behandlung mit den C1-Inhibitor-Konzentraten Berinert® und Cinryze® empfohlen. Die Behandlung von Säuglingen und Kleinkindern stellt eine besondere Herausforderung dar. Oft ist es schwierig, einen beginnenden Anfall zu erkennen, weil die Symptome, gerade von Magen-Darm-Attacken, oft unspezifisch sind. Für Kinder ab Säuglingsalter stehen Berinert® und Cinryze® (je nach Alter teilweise als „Off Label“-Verschreibung) zur intravenösen Verabreichung sowohl für die Akutversorgung als auch für die Langzeitprophylaxe zur Verfügung. Firazyr® ist ab zwei Jahren für die subkutane Therapie einer akuten Attacke zugelassen, Ruconest® dagegen erst ab einem Alter von zwölf Jahren. Letzteres gilt auch für subkutan verabreichtes Berinert®-Derivat und Takhzyro®. Die Dosierung der Wirkstoffe erfolgt bei Kindern gewichtsadaptiert.

Prävention und Vorbeugung

Das hereditäre Angioödem ist eine erblich bedingte Krankheit. Da die Krankheit chronisch verläuft und bislang keine Heilung möglich ist, müssen die Patienten lernen, mit den Symptomen umzugehen. Dabei helfen Schulungen, Patientenbroschüren und Selbsthilfegruppen (www.haei.org, www.hae-online.de). Indem die Patienten bekannte Auslöser wie Traumen, Stress oder bestimmte Medikamente meiden, können sie Attacken vermeiden. Bei nötigen Operationen hilft eine Kurzzeitprophylaxe, Attacken zu unterdrücken oder zumindest abzuschwächen. Durch eine frühzeitige medikamentöse Behandlung von Attacken oder gegebenenfalls eine Dauerbehandlung lassen sich schwere Verläufe des hereditären Angioödems verhindern.

Therapieempfehlungen der derma.plus Experten

Alle Betroffenen mit einem hereditären Angioödem sollten durch einen sich auf das Erkrankungsbild spezialisierten Arzt (niedergelassen oder in einem dann häufig an eine Klinik angebundenes Zentrum) zumindest im Rahmen der Ersteinstellung beraten lassen. Eeinige Adressen finden sich unter https://hae-online.de/behandlungszentren.php.

Quellen und weiterführende Literatur


Letzte Aktualisierung: 30. April 2020

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